Ist ein Einsatz von Behandlungsplatzbereitschaften (NRW) oder MTF’s im Rahmen des Ukraine-Konflikts im Ausland denkbar?

Eine interessante Frage, die mir am Wochenende gestellt wurde! Die Antwort lässt sich aus meiner Sicht nur mehrteilig geben, wobei ich militärische Hilfeleistungsstrukturen hier bewusst nicht betrachte und mich auf zivile Ressourcen beschränke.
Hinweis: das hier sind, wie alles in meinem Blog, meine höchstpersönlichen Gedanken; sie dienen wie immer der Klärung meiner eigenen Überlegungen und sind keineswegs als „offizielle“ oder auch nur „offiziöse“ Stellungnahme zu werten.

  1. die rechtliche Seite:
    Medizinische Task-Forces (MTF) oder, wie sie in NRW aufgestellt sind, „Behandlungsplatzbereitschaften“, sind Teil des Katastrophenschutzpotentials Deutschlands. Der Katastrophenschutz ist Teil des Zivilschutzes und daher sind sie auch für den Einsatz im bewaffneten Konflikt vorgesehen. Darüber hinaus ist das sog. „Europäische Gemeinschaftsverfahren“ darauf ausgerichtet, dass EU-Mitgliedsstaaten sich bei Bedarf gegenseitig in Not- und Katastrophenfällen unterstützen.
    a) für Katastrophen in Friedenszeiten ist dies unkritisch – warum sollte für medizinische Einheiten etwas anderes gelten als z.B. für Feuerwehrbereitschaften, die in Griechenland bei Waldbränden helfen?
    b) soweit eine Hilfe in einem Land erforderlich ist, das selbst nicht Teil eines bewaffneten Konflikts ist, sondern Menschen aus einem Konfliktgebiet aufnimmt, dürfte das ebenso zu bewerten sein.
    c) schwieriger könnte die Lage sein, wenn der Einsatzort selbst in einem am Konflikt beteiligten Staat liegt. Hier wird es darauf ankommen, ob Deutschland im konkreten Fall als „neutraler Staat“ gilt. Hilfe z.B. durch Rotkreuzkräfte eines neutralen Staates ist in den Genfer Abkommen ausdrücklich erwähnt; ähnliches dürfte dann auch für JUH und MHD gelten können, da diese als nationale Hilfsgesellschaften in Deutschland gesetzlich anerkannt sind – ob dies jedoch völkerrechtlich notifiziert ist, weiß ich nicht und müsste daher ggf. nachgeholt werden. ASB und DLRG sind jedoch nicht als nationale Hilfsgesellschaften anerkannt. Feuerwehr und THW sind staatliche Einrichtungen, für die wieder andere Regelungen gelten. Hier müsste wahrscheinlich das 1. Zusatzprotokoll herangezogen werden, das Zivilschutzkräfte allgemein beschreibt. Ob ZP I eine Hilfe durch Zivilschutzkräfte eines neutralen Staates vorsieht, weiß ich aktuell nicht; es wäre aber vielleicht interessant, sich ZP I unter diesem Gesichtspunkt einmal näher anzuschauen.
    d) für Hilfe in einem Konfliktgebiet dann, wenn der Entsendestaat selbst „Koalitionär“ eines am bewaffneten Konflikt beteiligten Staates ist (also nicht neutral), wird es unübersichtlich. Ohne es näher untersucht zu haben, gehe ich zur Zeit davon aus, dass dann wohl nur eine Hilfe durch die nationale Rotkreuzgesellschaft unter Verantwortung des IKRK denkbar ist.
  2. die sachliche Seite:
    MTF sind in Deutschland in erster Linie zur Unterstützung des Rettungsdienstes bei Großlagen vorgesehen, ausgebildet und ausgestattet. Ihre Leistungsfähigkeit ist auf einen Zeitraum von relativ wenigen Stunden zwischen Primärrettung und Klinik ausgerichtet. Insbesondere fehlt ihnen die Möglichkeit, versorgte Patienten ggf. über Tage und Wochen stationär aufzunehmen. Sie sind daher auf eine funktionierende Krankenhauslandschaft angewiesen. Ein Einsatz in Ländern, deren medizinische Infrastruktur intakt ist, wäre also zunächst denkbar – nur: was wäre dann dort zu leisten? Falls es zu einem Massenanfall von Patienten „von außen her“ kommt, also zum Beispiel aus einem am Konflikt beteiligten Nachbarstaat, wäre ihre Leistungsfähigkeit nach kurzer Zeit erschöpft, wenn kein „Abfluss“ der Patienten „nach hinten“, also in die klinische Versorgung des Aufenthaltsstaates oder eines weiter entfernten Nachbarstaates erfolgt. Ohne eine suffiziente Erweiterung der Krankenhausinfrastruktur wäre der Einsatz von MTF’s also nur eine sehr kurzfristige Hilfe.
    Wichtig wäre in diesen Fällen also eine Ergänzung/Erweiterung auch der klinischen Kapazitäten und/oder des Transports transportfähig gemachter Patienten „nach hinten“. Leider bietet der deutsche Zivilschutz aber für letzteres keine wesentlichen Fähigkeiten mehr an. „Lazarettzüge“, wie sie einmal in den 60ern planerisch vorbereitet waren, gibt es nicht mehr, und auch die früheren Hilfskrankenhäuser sind nicht mehr da. Ein Einsatz von MTF’s „konfliktnah“, also z.B. kurz hinter der Grenze zu einem Konfliktgebiet wäre also mangels einer Verlegemöglichkeit versorgter Patienten nur wenig sinnvoll.
  3. die Logistik:
    MTF’s sind recht spezialisiert aufgestellt. Es ist mir nicht bekannt, ob die bei ihnen benötigten Versorgungsgüter in jedem Land außerhalb von Deutschland ohne Weiteres verfügbar sein würden. Falls nicht, wären Versorgungslinien über eine Strecke von vielen Hundert Kilometern aufzubauen mit allen bekannten damit verbundenen Problemen. Außerdem verfügen MTF’s nicht über Kapazitäten für die Eigenunterbringung (sie sind halt eher für einen Einsatz geplant, „bei dem die Einsatzkräfte nachts wieder im eigenen Bett schlafen können“). Auch dies macht einen Einsatz in einem Einsatzraum, der mehrere Hundert oder gar Tausend Kilometer weit vom Heimatstandort entfernt sein kann, eher „unhandlich“ und daher unwahrscheinlich.
  4. die Alternative:
    Vorausgesetzt, es kommt nicht zu einer massiven Erweiterung der Patiententransportkapazitäten nach „rückwärts“ bliebe also nur die Möglichkeit, zur Erweiterung der stationären Versorgung „Referral Hospitals“ der Rotkreuz-/Rothalbmondbewegung einzusetzen. Diese bieten durchaus Strukturen zur längerfristigen stationären Aufnahme von Patienten – allerdings stehen auch sie zahlenmäßig nur in begrenztem Umfang überhaupt zur Verfügung. Zwar könnten hier MTF’s als „vorgeschobener Arm“ der Referral Hospitals eingeplant werden, aber im Zusammenspiel wären wahrscheinlich die ebenfalls bei der Rotkreuz/Rothalbmondbewegung vorhandenen „Basic Health Care Units“ besser geeignet, weil in Ausstattung und Ausbildung angepasst.
  5. meine Schlussfolgerung:
    Alle diese Überlegungen lassen mich erkennen, dass ein massiver Einsatz von MTF’s im konfliktnahen Gebiet eher unwahrscheinlich, weil wenig zweckmäßig sein würde. Sinnvoller wäre ein Ausbau primärmedizinischer Strukturen (z.B. Erweiterung der rettungsdienstlichen Kapazitäten, Ertüchtigung von Arztpraxen entsprechend den Planungen der „Rettungsstelle“ des früheren deutschen Katastrophenschutzes, Basic Health Care Units o.ä.), aus denen heraus transportfähig gemachte Patienten dann mit Patiententransportmitteln (das „Kleeblattsystem“ lässt grüßen) nach „rückwärts“ gebracht werden (gibt es eigentlich das Material der früheren „Krankentransportkompanie Schiene“ irgendwo noch?). Am Zielort könnten dann MTF’s ihre Wirksamkeit bei der „Durchlaufversorgung“ der Patienten aus den „Lazarettzügen“ und der Verlegung in die Kliniken (PTZ 10) voll entfalten. Insbesondere die logistischen Nachteile würden dabei entfallen. Ob allerdings die Kliniken in Deutschland auf ein solches System vorbereitet wären, ist eine andere Frage. Die Kapazitätserweiterung in den Krankenhäusern ist ein unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten der letzten Jahre vernachlässigtes Feld.
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