„Als die Römer frech geworden …“ – oder: Gedanken über die Bedeutung der Schlacht im Teutoburger Wald

In den Urlaub zu fahren löst manchmal ungewöhnliche Gedanken aus, wahrscheinlich nicht nur bei mir. Ein paar Tage in Xanten (ist übrigens als Zielort für einen Kurztrip sehr zu empfehlen) haben bei mir nahezu „defätistische“ Überlegungen ausgelöst, als wir das Freilichtmuseum mit den Ausgrabungen aus der CUT („Colonia Ulpia Trajana“) besucht haben. Manche städtebaulichen und kulturellen Errungenschaften aus der römischen Zeit wären auch heute nach zweitausend Jahren noch nachahmenswert. Die Struktur der Vermischung zwischen Wohnen und Arbeiten in den Insulae, die Hygiene- und Badekultur in den Thermen, die geradezu an die Moderne gemahnende Verwendung von Baustoffen sind hoch beeindruckend und stellen in Frage, ob wir uns in der Zwischenzeit tatsächlich so sehr weiterentwickelt haben wie wir manchmal meinen. Wasserleitungen, Abwasserentsorgung, Fußbodenheizung und vielen mehr: alles das hatten die Römer bereits vor 2000 Jahren in ihrer Garnisonsstadt am Niederrhein! Wir haben den gleichen Stand erst nach vielen Jahrhunderten wieder erreicht.

Und da kommt jetzt der ketzerische Gedankengang: für mich als jemand, der in Ostwestfalen aufgewachsen ist, war Armin der Cherusker („Hermannsdenkmal“) und die Schlacht im Teutoburger Wald etwas, das immer wieder als höchst bedeutsam für uns Deutsche angesprochen worden ist. Aber stimmt das überhaupt? Wäre es vielleicht sogar besser gewesen, dieses Geschehen hätte es nie gegeben?

Unstrittig ist: Arminius ist charakterlich kein Vorbild. Er hat sich als in Rom aufgewachsener Mensch gegen seine Umgebung gestellt und soll sich angeblich sogar damit, dass er die Cherusker und umliegenden Völkerstämme gegen die Römer geführt hat, treuwidrig verhalten haben. Es geht die Legende, dass er seinen „Seitenwechsel“ den Römern nicht deutlich gemacht habe und daher sein Sieg teilweise auf den Überraschungseffekt zurückzuführen sei, denn Varus habe nicht damit rechnen können, dass seine germanischen Hilfsvölker sich plötzlich gegen ihn stellen würden. Sei’s drum – Untreue und Seitenwechsel waren in römischer Zeit nicht unbedingt ungewöhnlich; dennoch sei die Charakterfrage hier erlaubt.
Aber was wäre gewesen, wenn die Römer den germanischen Raum zur damaligen Zeit tatsächlich kolonisiert hätten? Hätte die römische Kultur dann vielleicht schon um die Zeitenwende breit in Germanien Einzug gehalten? Hätte Rom dann vielleicht die Wirren der Völkerwanderung besser überstehen können? Es ist nicht auszuschließen, dass die Weltgeschichte dann einen anderen Verlauf genommen hätte; zumindest aber hätte römisch-mediterrane Kultur um Jahrhunderte früher zwischen Rhein und Elbe Einzug gehalten und zivilisatorisch gewirkt.
Jedenfalls wäre es vermutlich nicht verkehrt gewesen, wenn bereits die „alten Germanen“ etliche römische Errungenschaften übernommen und nicht durch ihren Sieg hinter den Rhein zurückgedrückt hätten.

Ich befürchte, dass ich bei künftigen Besuchen im Lipperland das Hermannsdenkmal nun mit anderen Augen betrachten werde: neben dem Monument nationaler Überhöhung des Sieges des Arminius über Varus wird es für mich künftig auch ein Mahnmal dafür sein, dass Germanien kulturell möglicherweise um Jahrhunderte zurückgeworfen worden ist. Und das ist doch eigentlich schade!

Und daher nun meine dringende Empfehlung: schaut euch das Freilichtmuseum und das Römermuseum in Xanten einmal an – die Archäologen des Landschaftsverbands Rheinland haben dort gute Arbeit geleistet. Ein Besuch ist sehr empfehlenswert!

https://apx.lvr.de

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